Reutlingen I 07.10.2024 – Schon seit vielen Jahren ist eine Infektion mit dem sogenannten RS-Virus bei Säuglingen einer der häufigsten Gründe für eine Krankenhausbehandlung bei Säuglingen. Ab Oktober 2024 gibt es hierfür eine Immunisierung, die das Risiko einer schweren Erkrankung deutlich reduziert und die von der STIKO (ständige Impfkomission) für alle Kinder im ersten Lebensjahr offiziell empfohlen ist.
RS-Viren kommen in den Wintermonaten überall vor und werden über Tröpfchen-Infektion oder auch über Oberflächen weitergegeben. Oft werden die Viren über ältere Geschwister in die Familie getragen. Aber auch Erwachsene infizieren sich im Alltag (z.B. beim Einkauf, auf der Arbeit, in öffentlichen Verkehrsmitteln) und bringen die Viren mit nach Hause. Während dies bei Erwachsenen oft nur einen Schnupfen, oder gar keine Symptome hervorruft, erkranken kleine Säuglinge häufig schwer an einer sogenannten Bronchiolitis, einer Entzündung der kleinsten Atemwege. Die Symptome sind nicht nur Schnupfen und Husten, sondern oft eine schwere Atemnot, die eine Krankenhausbehandung und Sauerstoffgaben, manchmal sogar eine Beatmung erforderlich machen. Die RS-Viren verursachen jedoch nicht nur akute Probleme, sondern bewirken oft eine erhöhte Empfindlichkeit für spätere Atemwegsinfekte oder sogar für die Entstehung von Asthma bronchiale.
In den Kreisklinik Reutlingen wurden in der letzten RSV-Saison 105 Kinder stationär behandelt, bei 20 Kindern war sogar eine maschinelle Atemunterstützung erforderlich. Aber das ist nur die Spitze des Eisberges: Im Winter sind wegen RSV alle Kinderarztpraxen überfüllt und im Kinderärztlichen Notdienst werden bis zu 200 Kinder am Tag vorgestellt, von denen ein Großteil an RSV-bedingten Atemwegsinfekten leidet.
Bisher gab es eine Immunisierung (das sind Antikörper, die das Virus schon beim Eindringen in den Körper abfangen sollen) nur für besonders gefährdete Säuglinge (extreme Frühgeborene, chronisch herz- oder lungenkranke Kinder oder Kinder mit Immunschwäche), die alle 4 Wochen gespritzt werden musste. Basierend auf demselben Behandlungsprinzip wurde jetzt der Wirkstoff „Nirvesimab“ entwickelt, der nach einer einzigen Spritze einen Schutz für die gesamte Wintersaison ermöglicht und die jetzt allen Säuglingen zur Verfügung stehen soll. Nach den bisherigen Studienergebnissen lassen sich damit 80% aller RSV-bedingten Krankenhausbehandlungen vermeiden.
In den Kreiskliniken Reutlingen haben wir daher auch eine Immunisierung aller Neugeborenen mit Nirvesimab (Beyfortus ®) nach den Empfehlungen der STIKO geplant, d.h. alle Kinder die in den Herbst- und Wintermonaten (also zwischen Oktober und März) geboren werden, sollen diese im Rahmen der U2, einer Vorsorgeuntersuchung im Alter von 3 Tagen erhalten. Leider ist der Wirkstoff im Moment nur in kleinen Mengen verfügbar, so dass wir ihn zunächst nur besonders gefährdete Kindern anbieten können. Wir hoffen aber, dass bald ausreichende Mengen geliefert werden können und, wie geplant, jedes Neugeborene davon profitieren kann.
Ein weiteres Problem liegt noch in der Finanzierung dieser sinnvollen Maßnahme:
Obwohl die Anwendung von Nirsevimab in den Geburtskliniken im Juli 2024 beschlossen wurde, ist eine reguläre Kostenübernahmeerklärung für den im Moment noch sehr teuren Impfstoff erst Ende September 2024 endgültig bekannt gegeben worden. Leider umfasst die Kostenübernahmeerklärung der Krankenkassen bisher nur den Impfstoff, nicht aber die pflegerischen und ärztlichen Leistungen (Aufklärung und Anwendung).
Aufgrund der Neueinführung dieses Wirkstoffes gehen wir von einem sehr hohen Informationsbedarf bei den Eltern aus. Für die Kreiskliniken wird es eine Herausforderung, diesen hohen zeitlichen Aufwand ohne Anpassung des Personalbedarfs zu bewältigen. Insbesondere in den betreffenden Monaten im Herbst und Winter ist die Arbeitsbelastung durch die Infektwellen ohnehin schon überdurchschnittlich hoch und wir müssen sicherstellen, dass diese neu übertragene Aufgabe nicht zu Lasten der schwer erkrankten Kinder in stationärer Behandlung geht.
Quelle: Frau Dr. med Birgit Jungk, Oberärztin der Kinderklinik Reutlingen